Sendung vom 13. Dezember 2019

"Du sollst Vater und Mutter ehren"

Stand

Sind Eltern strahlende Vorbilder, denen die Kinder nachstreben – oder Feindbilder, von denen sie sich deutlich abgrenzen wollen? Wo ist das Ehren angebracht und wo nicht?

Aus biblischer Sicht fordert uns das vierte Gebot auf: „Ehre deinen Vater und deine Mutter.“ Doch egal ob christlich geprägt oder nicht: Dieser Auftrag ist in den meisten von uns tief verankert

Aber was passiert, wenn man als Kind die Pflege und Unterstützung nicht leisten kann oder möchte?

Muss ich ehren, wer nie für mich da war? Wer mich als Kind ins Heim gegeben, mich vernachlässigt oder gar misshandelt hat? Und kann ich ehren, wer großes Unrecht getan hat?

Das sind die Gäste bei Michael Steinbrecher:

Gabriel Babel

„‚Du sollst Vater und Mutter ehren‘, dieser Satz ist mir unglaublich fremd“, sagt Gabriel Babel. Als Kind litt er jahrelang unter Misshandlungen durch den Vater, bis er mit 12 Jahren schließlich beschloss, gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder zu fliehen. Doch auch wenn die Kinder im Heim einen sicheren Hafen fanden: Die Narben auf der Seele blieben – und hatten für Gabriels Bruder dramatische Folgen.

Gabriele Dietz-Paulig

Als Gabriele Dietz-Paulig ein Schreiben vom Amt erhielt, in dem sie aufgefordert wurde, sich an den Pflegekosten für ihre Mutter zu beteiligen, war sie fassungslos. Denn bereits kurz nach der Geburt wurde sie von ihrer Mutter in ein Kinderheim ge­ge­ben und bis heute blieb die Beziehung distanziert: „Meine Mutter ist für mich nur eine ent­fern­te Bekannte.“ So musste ein Gericht über den Fall entscheiden.

Birgit Jatho

Dass man aber seinen Eltern am Lebenswende etwas zurückgeben möchte, wenn man zeitlebens ein gutes Verhältnis hatte, davon ist Birgit Jatho überzeugt. Als nach ihrem Vater auch ihre Mutter plötzlich zum Pflegefall wurde, war schnell klar, dass die Familie sich daheim mit vereinten Kräften kümmern wird: „Meine Eltern haben es verdient, möglichst liebevoll und in ihrem eigenen Zuhause versorgt zu werden.“

Bernd Wollschlaeger

In der Kindheit verehrte Bernd Wollschlaeger seinen Vater – bis er herausfand, dass dieser als Wehrmachtsoffizier ein glühender Anhänger des Nazi-Regimes war und auch nach dem Krieg an seinen Überzeugungen festhielt: „Als ich immer mehr heraus­gefunden hatte, wandelten sich meine Gefühle zu riesiger Enttäuschung, Verbitterung, Traurigkeit und Schock.“ Bernd Wollschlaeger tat alles, um sich abzugrenzen, wan­derte aus und konvertierte schließlich sogar zum Judentum.

Jeannette Hagen

Als 9-Jährige fand Jeannette Hagen zufällig heraus, dass ihr vermeintlicher Vater nicht ihr Vater war. Zwar versuchte ihr Stiefvater diese Leerstelle in ihrem Leben zu schließen, doch die Sehnsucht nach ihren Wurzeln ließ die heute 52-Jährige nicht los. Umso größer ist ihre Enttäuschung, dass sie bis heute nur Ablehnung von ihrem leiblichen Vater erfährt: „Dass er eines Tages sterben könnte, ohne dass es eine Aussprache gab, macht mir Angst.“

Irmela Wiemann

Die Psychotherapeutin Irmela Wiemann sagt: „Es gibt einen Unterschied zwischen biologischer Elternschaft und wirklicher Elternschaft.“ Deshalb könne man auch nicht pauschal verlangen, dass Kinder ihre Eltern ehren sollen. Doch die erfahrene Fami­lien­therapeutin weiß auch, dass es dabei hilft, ein zufriedenes Leben zu führen, wenn man die Verbindung, die unweigerlich zwischen Eltern und Kindern besteht, würdigt.

Literatur zur Sendung:

Irmela Wiemann

Jeannette Hagen

Bernd Wollschlaeger

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SWR Fernsehen